„Sitt und Tracht der Alten wollen wir erhalten“
An dieser „Messlatte“ haben sich die „Gründerväter“ des „Chiemgau Alpenverbandes für
Tracht und Sitte“ bei ihrem Tun und Handeln im Sinne der Trachtensache orientiert. Heute würde man dafür „Zielvorgabe“ oder „Zielvereinbarung“ sagen.
Da gilt es zuerst einmal, die Begriffe zu klären.
Wer sind die “Alten”, die hier gemeint sind.
Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist es die Großvätergeneration der Verbandsgründer,
denen die kurze Lederhose ,die Joppe und der grüne Hut noch etwas galten zumindest im Gebirg', und deren „kleidsame Volkstracht“, wie sie in der Bayrischzeller Vereinssatzung von 1883 bezeichnet wird
und wie sie auch Josef Friedrich Lentner in seiner „Bavaria“ um 1850 noch beschreibt, am Aussterben war.
Das führte zur Gründung des ersten „Gebirgstrachten-Erhaltungsvereins” 1883 in Bayrischzell unter
Lehrer Josef Vogel . In der Folgezeit legte man auch bei uns fest, wie die Tracht in den Vereinen und Verbänden auszusehen hatte und was man sonst noch dazu zu tragen hatte um den „Statuten“ zu genügen und
die Tracht folgenden Generationen zu erhalten.
Die sogenannten „Historischen Trachten“ fallen hier nicht herein und auch nicht die
„Volkstrachten“. Beide Gattungen sind ein eigenes ,sehr reizvolles Kapitel in der Trachtengeschichte. Bei der Gründung der Trachtenvereine ging es aber ausschließlich um die “Gebirgstracht”.
Für das „Erhalten” war es erforderlich, so oft wie nur möglich in seinem „alpenländischen
Kostüm“, wie man es seinerzeit in Satzungen ausdrückte, in der Öffentlichkeit zu erscheinen. Für den Bereich des Chiemgau Alpenverbandes waren die Jahre von 1895 bis etwa 1930 sehr entscheidend mit der
Neu- und Umgestaltung des „Inntaler Bandlhutes“ zum „Preaner Hut“ und der Festlegung aufs neu geschaffene „Röcke“ bei den Frauen. Die Männertracht änderte sich nur unwesentlich im
Vergleich zu anderen Männertrachten. Diese Grundvoraussetzungen wurden durch die „Trachtenpflege“ bis in unsere Zeit herein weitergetragen abgesehen von wechselnden Rocklängen und sich ändernden Hutformen.
Bleibt noch zu klären was es mit der „Sitt“, also dem Brauch auf sich hat.
Was ist der Brauch und was versteht man unter Brauchtum ?
Der „Wissenschaftler“ drückt es so aus:
„Brauchtum ist eine wiederkehrende, sich nach Trägerschaft, Ort und Zeit wiederholende Form gemeinschaftlichen Handelns“.
Damit kann man schon ganz gut leben um festzustellen ob etwas Sitte (Sitt“) also „der Brauch“ ist oder nicht.
1. muss es sich um ein „gemeinschaftliches Handeln“ drehen. 2. es muss
sich etwas nach Ort und Zeit wiederholen und 3. die Trägerschaft (Personenmehrheit) muss die gleiche sein.
Wenn nur eines dieser Merkmale fehlt, muss und darf bereits ein Fragezeichen gemacht werden bei der
Betrachtung, ob es sich tatsächlich um einen Brauch (also das was Sitte ist), handelt.
Brauch ist nach einer Definition von Annette Thoma,der Schöpferin der Deutschen Bauernmesse, die verkürzte
Form von „Gebrauch“, also die zum ungeschriebenen Gesetz gewordene Gepflogenheit.
Die Gesamtheit vernünftiger Handlungen, die zum Leben oder zum Überleben direkt oder
indirekt notwendig sind und die ein menschenwürdiges Dasein sichern möglichst frei von Gebrechen, - das ist mit der „Sitt“ gemeint, also der(gute alte) Brauch, der von den Vorvätern zu übernehmen war.
Eine erste, wesentliche Erkenntnis folgt daraus:
„Sitt“ also „Brauch“ kann es nie sein, wenn irgendwo Schaden entsteht Ob bewusst,
fahrlässig oder unbewusst herbeigeführt, spielt dabei eine eher untergeordnete Rolle.
Die Brauchausübenden sind gehalten sich über ihr Tun und dessen Folgen vorher ernsthafte Gedanken zu machen.
Auch das gehört zur “Sitt”.
Brauch und Brauchtum entstehen und vergehen von selbst.
Es braucht dazu keine Erlasse und Vorschriften wohl aber vorsichtige, behutsame(mit unter auch kräftiger
ausfallende) Wegweisungen wenn Fehlentwicklungen, eben Schäden bei Mensch, Tier und Natur erkennbar werden oder z.B. bei Vereinnahmung zu ausschließlich wirtschaftlichen, politischen oder weltanschaulichen
Zwecken.
Auf den Fundamenten eines christlich-abendländischen Weltbildes fußt unser Brauchtum,das sich über lange
Jahrhunderte entwickelt hat. Eine enge Verbindung zum Kirchenjahr mit seinem Festkalender ist daher nur folgerichtig.
Das heisst aber nicht, dass es außerhalb dieser „Eckpfeiler“ kein Brauchtum gäbe oder Bräuche deshalb weniger wert seien als die eigenen.
Hier kann sich falsch verstandene Brauchtumsideologie sehr schnell ins Gegenteil verwandeln mit verheerenden Folgen für alle Beteiligten.
Grundformen unseres Brauchtums (also der Sitt')sind z.B.
die Umkreisung (Prozessionen,Umritte,Tanz um den Maibaum u.a.), Vermummung und Kultspiel (Nikolausbrauch, Braut- oder Firstbaumstehlen), Kultlärm oder Kultschmuck (Tagreveille oder Palmbuschen), Viehschmuck (beim Almabtrieb) Opfergaben (Johanniwein, Seelenzopf, Votivkerzen), Elementenkult (Sonnwendbrauch,
Wasserweihe), Orakel und Zeichen( Anschriften an den Haus- und Wohnungstüren b.Hl.Drei König, Verzierungen an Ställen und Stadeln) und der Berührungskult (Ehering, Aufhalten d.Hochzeitspaares, Backenstreich bei der Firmung). Für die einzelnen Grundformen gibt es natürlich noch zahlreiche andere Beispiele. Auch Kultpflanzen (Hauswurz gegen Blitzschlag) gehören hierher.
Alles was dem Schutz des Lebens, der Gesundheit und des Heimanwesens diente oder durch irgendwelche Ereignisse
oder Vorkommnisse dienlich erschien, konnte und kann sich auch noch heute ohne Zutun von dritter Seite automatisch zum Brauchtum entwickeln und manche „Sitt“ der Alten“ z.B. um das Wissen beim
Holzeinschlag zum richtigen Zeitpunkt feiert daher fröhliche Urständ.
Dass sich beim Brauchtum christliche, vorchristliche und schlichtweg heidnische Mosaiksteine zu einem
bunten Bild zusammenfügen, das in sich nicht immer stimmig sein muss haben wir zur Kenntnis zu nehmen.
Man könnte es mit der urmenschlichen Einstellung von “Nix gwiss’s woaß ma net” zu
umschreiben versuchen was hier die Zeitenläufe zusammengewirbelt haben durchwirkt von dem immerwährenden Versuchen verschiedenster Institutionen, bestimmte Handlungsweisen in ihrem Sinne zu beeinflussen.
Wie benehme ich mich anderen Mitmenschen gegenüber, wie verhalte ich mich bei freudigen oder traurigen
Anlässen, wie gehe ich mit den Eckpfeilern des Lebens, der Geburt, dem Tod oder den dazwischenliegenden „Stationen“ um, wie kleide ich mich, was bedeuten mir die Grundwerte unseres menschlichen
Zusammenlebens, das alles ist also in dem kleinen Wörtlein „Sitt“ enthalten.
Dieses unscheinbare Wort erfordert den „ganzen Menschen“ und nicht nur das Vereinsmitglied in
Ausübung seiner Vereinstätigkeit bei aller Fehlerhaftigkeit die jeder Kreatur zu eigen ist. “Leben und leben lassen“ war offenbar einer der ungeschriebenen Grundsätze dieser „Alten“, deren
„Sitten“ (Gebräuche) es zu erhalten gilt. Das hieß aber bei Leibe nicht zuzuschauen um jeden Preis, auch wenn Kulturgüter „den Bach hinunter“ gingen.
Zum guten Schluss noch ein Blick in den “Brockhaus”von 1966
Sitte: “Art des Verhaltens und Handelns,die aufgrund langer Gewohnheit befolgt wird;sie kann innerhalb einer Gemeinschaft verbindlich sein”.
Sittlichkeit: “Moral” –sowohl als Verhalten und Gesinnung wie als bewusste Erfassung ihrer Regeln und Normen (Ethik)
Ethik: “Die Lehre vom Sittlichen” (auch die Gesamtheit der sittlichen Grundsätze”)
Wer die hier beschriebene „Sitt“(Sitte) also ausschließlich auf den Begriff
der„Sittlichkeit“- zuweilen ausgewalzt bis hin zu einer gewissen Lebensfeindlichkeit- zu reduzieren versucht , hat die Altväter der Trachtensache gründlich missverstanden.
Siegi Götze
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