Das Volkstheater
Bereits in der Barock- und Rokokozeit kam dem Volkstheater eine große Bedeutung zu, wobei vorwiegend Passionsspiele und Heiligenlegenden aufgeführt wurden, die mit lustigen Szenen
durchsetzt waren. Die katholische Kirche benutzte das Theater und die Spielfreudigkeit der Bayern geschickt als Werbemittel für die Ideen der Gegenreformation, so dass im 18. Jahrhundert das »Comödispielen« eine
regelrechte Blüte erlebte. Die Bühnensprache war bis zum Ende des 17. Jahrhunderts Latein, dem einfachen Volk wurde jedoch in Form von Handzetteln und Programmheften Inhalt und christlicher Charakter der Stücke
erklärt.
Das Verbot geistlicher Stücke in der Aufklärungszeit und infolge der Säkularisation führte zum Entstehen volkstümlich überarbeiteter Klassiker von Shakespeare oder Schiller, aber auch zu neuen Formen
wie Ritterdramen, Abenteuergeschichten oder Rührstücken, welche vorwiegend von einheimischen Autoren (Beamte, Lehrer, Kaufleute, Bauern, Arbeiter) geschrieben und in eigenen »Theaterhütten« gespielt wurden. Um 1800
bildeten sich Theatergesellschaften, die die Pflege des Volksschauspiels fortführten. Oberammergau, Endorf und Kiefersfelden zählen wohl zu den ältesten, noch existierenden Theatergesellschaften, die die
ursprüngliche Form des »Comödispielens« bewahrt haben.
Aufgrund des wachsenden Interesses am Landleben setzte sich im 19. Jahrhundert eine neue Gattung von Volksstücken aus dem ländlichen Bereich durch. Ludwig Anzengruber schuf vorwiegend
ernste Dramen mit zeitkritischem Einschlag und Ludwig Ganghofer hatte mit idealisierenden Heimatstücken aus der oberbayerischen Gebirgswelt große Erfolge. Die Entwicklung ging weiter zu bäuerlichen Lustspielen und
reinen Bauernpossen. Die Bewegung griff von der Stadt auf das Land über und führte vor allem in bevorzugten Sommerfrischen zum Entstehen von Bauerntheatern. Der Münchner Hofschauspieler Konrad Dreher eröffnete 1862
zusammen mit Xaver Terofal das »Schlierseer Bauerntheater«, in dem während der Fremdenverkehrssaison Laiendarsteller oberbayerische Gebirgsvolksstücke mit Plattler- und Jodlereinlagen mit großem Erfolg aufführten.
Die Inhalte dieser Werke waren häufig bäuerliche Klischees, die den Touristen eine »heile Welt der Berge voller naiver Dramatik« vermittelten. Nach Saisonschluß gingen zahlreiche Theater-gruppen auf Gastspielreisen,
sogar bis in die USA. Die Gründung und Entwicklung anderer Bauerntheater (Berchtesgaden, Partenkirchen etc.) verlief ähnlich.
Angeregt durch die großen Erfolge der Bauerntheater begannen um die Jahrhundertwende auch zahlreiche Vereine mit der Aufführung der ländlichen Volksstücke. Die Vereine pflegten damit
einerseits die Erhaltung bestimmter kultureller Lebensgewohnheiten und förderten andererseits das gesellige Beisammensein unter den Mitgliedern. Ein erfreulicher Nebenaspekt war zudem, daß mit den
Theateraufführungen auch Geld in die nicht selten spärlich gefüllte Kasse floß.
Unter den Trachtenvereinen im Gauverband 1 war es vor allem der Trachtenverein »Rosenheim Stamm 1« unter dem Spielleiter Alois Bach, der die Ideen der Bauerntheater übernahm und ab 1983
neben den örtlichen Vorstellungen zahlreiche Gastspiele in den benachbarten Gemeinden, aber auch in München und Landshut gab. Andere Vereine im Inntal und Chiemgau folgten bis in die dreißiger Jahre diesem Beispiel.
Nach dem zweiten Weltkrieg setzten viele Trachtenvereine wieder die Tradition des Volkstheaters fort. Dramatische Wilderer- und Schmugglerstücke, bäuerliche Themen und vor allem ernste Heimkehrerstücke zählten
zunächst zum Repertoire der Vereine, die damit dem Zeitgeist Rechnung trugen. Die Hauptspielzeiten waren und sind die »tanzlosen« Advents- und Fastenzeiten. Mit der Gründung der Theaterverlage und des bayerischen
Volksspielkunstverbandes wurde schließlich eine bessere Übersicht über die vorhandenen Stücke und eine gute Betreuung der Vereine und Spielgruppen erreicht. Zu den ernsten Werken gesellten sich in den vergangenen
zwanzig Jahren zahlreiche Lustspiele und zeitkritische Handlungen.
Ein großer Verdienst vieler Trachtenvereine gerade in der heutigen Zeit ist die vermehrte Auswahl historischer Spiele, bodenständiger
Stücke oder Geschehen, die den Einfluß der modernen Zeit auf die überlieferten Werte und Vorstellungen aufzeigen. Solche anspruchsvollen Werke verlangen den Laiendarstellern Können, Talent und ein großes
Einfühlungsvermögen ab — ein krasser Gegensatz zu der plumpen Komik mancher Lustspiele! Zahlreiche junge Akteure und die uneingeschränkte
Freude der Menschen an der Darstellung der verschiedenen Typen und Charaktere sind zudem Garanten für die Fortsetzung des »Comödispielens« in die nächsten Generationen.
Hildegard Kallmaier
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